Neulich im Wartezimmer

Die Influenza greift um sich, und viele Firmen leiden durch den massiven Ausfall der Mitarbeiter. Man hat gute Ratschläge parat wie regelmäßiges Händewaschen oder sogar einen Mundschutz zu tragen, Rotznasen, Husten, Schnupfen sind jedoch an der Tagesordnung. Man weiß außerdem, dass Grippeviren bis zu 17 Tage auf Geldscheinen „überleben“. Je mehr Menschen um einen herum sind, desto höher ist das Risiko, sich anzustecken. Züge, Busse, Kino, Konzerte – Albträume für Hypochonder und tatsächlich Kranke.
Viel „gefährlicher“ allerdings ist die Ansteckung im Wartezimmer. Es ist es schön warm, weil die Heizung läuft und eine Menge anderer Menschen mit Ihnen im Wartezimmer sitzen. Die Hitze trocknet die Schleimhäute aus, sie wird empfindlicher für die durch Tröpfchen übertragbaren Erkältungs- und Grippeviren. (Mensch bin ich froh, so einen Satz formuliert zu haben, man merkt es mir sicherlich an, dass meine Frau medizinisch was auf dem Kerbholz hat). Die Tatsache, dass ich zum Arzt gehen musste, ließ sich jedoch nicht umgehen. Wenn man ins „Ersatzteilalter“ kommt, soll man sich wirklich regelmäßig prüfen lassen. Man geht ja mit dem Auto auch zu den regelmäßigen Inspektionen. Aber in diesem besagten Wartezimmer warteten keine Viren auf mich, sondern zwei äußerst redselige Personen: Sie um die siebzig und er sagen wir mal Ende sechzig.SIE: Und Du sagen Du warten jetzt halbe Stunde. ER: Ja haben mich bestellt denke ich um zwei und jetzt ist schon viel Zeit vergangen. Wo kommst Du her? SIE: Aus Königsbach. ER: Nein, ich meine wo bist Du geboren? SIE: Aus Kroatien, sind schon dreiundvierzig Jahre hier. Viel Krieg in Kroatien, viele Tote, viel Trauer ER: Ist noch Krieg? SIE: Nein Krieg vorbei aber viel Trauer und viele arme Menschen. Wo kommst Du her? ER: Ich bin schon fünfzig Jahre hier, komme aus Portugal und kenne Königsbach. Kenne alle Orte um Pforzheim 100 Kilometer oben und unten, ich war Fahrer beim Möbelwagen. SIE: Ist in Portugal auch Krieg? ER: Nein, Gott dank nicht, aber auch haben arme Leute. SIE: Ich will zurück, wir haben in Zagreb schöne große Haus, aber mein Mann wollen nicht. Er guter Mann aber halt Mann. Ich bin vierundsiebzig und weißt Du er hat eine Freundin die ist sechsundsiebzig und die wohnt auch Königsbach. Jetzt zahlen Miete hier obwohl wir in Zagreb großes Haus haben. ER: Ja, da kann man nix machen. SIE: Ja, ja, aber arme Leute überall, sehe im Fernsehen Leute von Griechenland, oh das sind arme Leute, aber die gute Frau wird helfen, bestimmt. ER: Welche gute Frau? SIE: Ja diese mit dem Mann der immer sitzt, sie ist doch der Chef von Deutschland. ER: Chef ? Du meinen Frau Markel? SIE: Ja genau Markel, sie immer überall und helfen alle Welt. Gute Frau sein, ich weiß. Wir auch haben in Zagreb eine gute Frau, die aber machen Babys weg, wenn Frauen schwanger und Kind nicht haben wollen. Ja viele gute Frauen gibt es. Mein Mann aber haben Freundin. Du auch haben Freundin? ER: Nein, meine Frau sterben vor drei Jahren. War ganz gute Frau. Nix Chef von Deutschland sein, aber Chef von Zuhause, sie hat viel gearbeitet. Ich war mit Möbelwagen unterwegs und sie arbeiten in Fabrik und Zuhause, haben drei Kinder. SIE: Ich will nach Kroatien zurück. Wenn auch Chef Markel gut sein hier. Frau Baumann, die Sprechstundenhilfe, kam und sagte: „Frau XY bitte ins Zimmer 2“, und die Lobeshymnen auf die gute Frau Chefin von Deutschland und ihren Mann der im Rollstuhl sitzt hatten ein promptes Ende. Als ich aus dem Ärztehaus kam rief ich Kostas an, berichtete von meinen zwei neuen Freunden und er sagte: „Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.“