Für jeden, der nach Kreta kommt, gehört ein Besuch der ehemaligen Leprainsel Spinalonga zu einem Muss. Anfang des 20sten Jahrhunderts bis Mitte der fünfziger Jahre war Lepra eine unheilbare Krankheit und jeder, der nach Spinalonga gebracht wurde, wusste, dass sein Urteil „lebenslänglich“ lautete.
Lange habe ich mich erfolgreich davor gedrückt, Spinalonga zu besuchen, bis wir die griechische Fernsehserie „To Nisi“ (Die Insel) auf DVD erhielten. Diese Serie, die nach dem Roman von Victoria Hislop gedreht wurde, beeindruckt nicht nur durch die phantastische Regie von Theodoris Papadoulakis, sondern auch durch eine große Anzahl Charakterdarsteller, von denen ich nur die am 03.Okt.1981 in Kalamata geborene Gioulika Skafida hervorheben möchte. Man vergleicht sie mit der jungen Melina Mercouri, man sucht Vergleiche mit Greta Garbo, Sissy Spacek, Faye Dunaway, Anjelica Huston, Meryl Streep oder Romy Schneider. Ich bitte die Leser dieser Kolumne, sich selber ein Bild von dieser großartigen Darstellerin zu machen.
Zurück zur Insel, erlebten wir Ende Juli einen Ansturm von Menschen und wie es sich gehört, war das kleine Kafenion geschlossen. Jemand meinte, dass die Konzession abgelaufen wäre und gemäß einem neuen Gesetz die Gewährung einer neuen einige Monate dauern würde. Gefühlte 40 Grad, müde und ausgelaugt und nichts zum Trinken dabei, suchten wir nach etwas Flüssigem. Einige, sicherlich schlauer als wir, hatten kleine Wasserflaschen dabei (Kostas geht nie ohne Wasserflasche aus dem Haus), wir jedoch dachten (ich in erster Linie): wo ein Flecken Erde in Griechenland frei ist, ist auch ein Kiosk in der Nähe. Pustekuchen!Unser Aufenthalt auf der ehemaligen Leprainsel war begleitet von unseren noch so lebhaften Eindrücken der Fernsehserie. Wie sahen, wie die Figur Maria, gespielt von Gioulika Skafida von ihrem Vater Kostas zur Insel gebracht wird. Wir sahen sie durch den gut zehn Meter langen Tunnel zur Krankenstation gehen. Wir lauschten dem vertonten Text von Adriana Bambali „Ise esi o anthropos mou“ (Du bist mein Mensch) und erinnerten uns an das kleine Gedicht von Epamonidas Remundakis, der die „Brüderschaft der Kranken von Spinalonga“ gegründet hatte.
Du gehst die Wege von Spinalonga
Halt inne und lausche deinem Atem
Aus einer Ruine irgendwo in der Nähe
Hörst Du den Klagegesang einer Mutter,
einer Schwester oder das Stöhnen eines Mannes
Lasse zwei Tränen entrinnen
Und Du wirst Millionen Tränen glänzen sehen
Die denselben Weg gegangen sind
Den du heute gehst.
Wir sahen, wie Maria ins Haus ihrer verstorbenen Mutter begleitet wird ……und der Tagtraum wurde durch spanische Schreie begleitet, von japanischen Fremdenführern und einer serbokroatisch sprechenden Besuchergruppe unterbrochen. Bei meiner Frau und Tochter bemerkte ich eine leichte Erschöpfung, die durch den Mangel an Flüssigkeit sich nicht unbedingt als stimmungserhellend bemerkbar machte. Nach sicherlich unzähligen Minuten kam endlich das kleine Boot, das uns zurück nach Plaka bringen sollte. Plaka ist der ca. 750m entfernte kleine Hafen, von dem aus die Boote nach Spinalonga abfahren. Aber kaum hatten wir uns versehen, war eine lauthals artikulierende Gruppe italienischer Touristen da und das Boot war voll. Ich erhaschte noch die Info, dass das nächste Boot in ca. zehn Minuten kommen würde. Jeder, der müde und durstig sich der prallen Sonne ausgesetzt hatte, war enttäuscht. Da half auch nicht, dass ich an Maria aus „To Nisi“ dachte, die uns vielleicht jetzt ein Glas klares Wasser bringen könnte. Aber da sah ich das nächste Boot kommen und wieder drängte sich eine Ansammlung von Menschen dem Steg zu. Ich voran, bin ja ein erprobter Kämpfer, hinter mir meine Frau und meine Tochter Nina. Das kleine Boot füllte sich erschreckend schnell mit Menschen und der Unterarm des Kapitäns senkte sich wie eine Schranke direkt vor mir. „Boat complete“ stotterte er auf Englisch. Ich dachte mir, warum mache ich es nicht wie die Griechen und rief dem Kapitän zu: „Meine Tochter Maria ist schon auf dem Boot, bitte trenne uns nicht“. Und da geschah das Wunder: Der Kapitän schob zwei Norweger, die schon beim Einsteigen waren, zurück und winkte uns herein. Begleitet von norwegischen Flüchen betraten wir das Boot. Als wir wenige Minuten später in Plaka das Boot verließen und jeder den Inhalt einer eisgekühlten Dose Cola in sich hatte, bedankte ich mich bei der imaginären Maria.
Mein Cousin Kostas würde jetzt sagen: Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.