Besuch von Grigoris

Was haben Maximilian Schell, Vittorio Gassmann, Jean Loius Trintignant, Kirk Douglas, Gary Crant, Yves Montand, Peter O´Toole und Takis Emmanuel gemeinsam? Manche werden spontan „Schauspieler“ sagen… Treffer!!!  Aber das wollte ich hier nicht zum Ausdruck bringen, sondern lediglich die Tatsache, dass die deutsche Synchronstimme der Herren von Erik Schumann stammt, vielen als Schauspieler in unzähligen Karl May Filmen ein Begriff. Und das, was ich eigentlich erwähnen wollte ist, dass Takis Emmanuel  in dem wunderbaren australischen Film „Kostas der Grieche“ die Hauptrolle spielte. Und jetzt bekommt das Ganze auch einen Sinn, wenn ich Euch berichte, dass Grigoris, ein alter Schulfreund, der vor Jahren nach Australien ausgewandert ist, eine kleine Nebenrolle in diesem Film hatte. Dieser Grigoris hat mich nun letzte Woche besucht.Überraschend kam der Anruf: “Hallo Bohnenstange, ich bin es.“ Ich war sehr erfreut, nach so vielen Jahren meinen alten Spitznamen wieder zu hören, der mein damaliges Aussehen beschrieb. Die Stimme war unverkennbar trotz der fast dreißig Jahre, die wir uns nicht gesehen hatten. Grigoris war mit einer Gruppe griechischer Akademiker in Deutschland zu Gast und so ergab es sich, dass wir uns nach so vielen Jahren wieder trafen.Ich erkannte ihn sofort in der Hotellobby, in der wir uns verabredet hatten. Er hatte etwas mehr Schwierigkeiten, mich wieder zu erkennen, was sicherlich der Tatsache zu schulden war, dass meine Gewichtsangaben auf dem Kopf stehen (damals 66 Kilo, heute 99 Kilo). 75 Prozent der etwa 700.000 Griechen in Australien leben in Sydney und Melbourne. Mittlerweile ist Melbourne die drittgrößte von Griechen bewohnte Stadt der Welt und die größte außerhalb Griechenlands. Er berichtete mir von seinem Leben und nach dem x-ten Whisky, er trank wie früher 21 Jahre alten Aberfeldy, kamen wir auf die aktuelle Situation in Griechenland zu sprechen. „Ich kann es nicht verstehen, “ meinte Grigoris, „übrigens, wie ich denken die meisten in Australien, wie man ein Land kaputt zu sparen versucht. Steuerflucht und Korruption werden durch dieses einseitige Sparen nicht bekämpft. Die griechische Regierung hat gerade vor zwei Tagen einen Aufschub bekommen, die fälligen Kredite zurück zu zahlen. Nur so können die restlichen 7,2 Milliarden Hilfen, die versprochen waren, ausbezahlt werden. Eine Pleite Griechenlands wäre ein Offenbarungseid für die Demokratie, und nicht nur in Griechenland. Die Gläubiger, wie sie auch heißen, verlangen in erster Linie die Kürzung der Renten. Die Streichung der ‚Sozialen Solidaritätszulage‘ für Rentner und ein sofortiges Einfrieren der Renten bis 2021. Die Anhebung der Krankenkassenbeiträge bei Rentnern“.  Grigoris nahm einen tiefen Schluck und ich konnte sehen, wie er um Fassung bemüht war. „Weißt Du“, setzte er nach einiger Zeit fort,  „wir waren letzte Woche in Athen und Thessaloniki. Wir haben Krankenhäuser besucht, die diesen Namen zu Recht verdienen. Es ist beschämend zu sehen, wie Krebskranke ohne Hilfe dahin vegetieren. Diabetiker erblinden, weil es keine Medikamente gibt. Ein Arzt berichtete uns, dass man ohne Spenden noch viel, viel schlechter dastehen würde und die meisten Spenden, übrigens nur von Privatpersonen, kommen aus Deutschland. Die deutsche Bevölkerung ist weitaus schlauer als mancher in der Regierung. Der Arzt berichtete weiter, dass das Leid nur gelindert werden kann. Verbandsmaterial und Desinfektionsmittel fehlen überall. Eine Zahl hat der Arzt genannt, die mich wirklich erschreckt hat. Er meinte, dass über 4000 Ärzte das Land verlassen haben. 2500 davon sind nach Deutschland gekommen.Viel, viel später, als mir Grigoris erzählte, dass sein Mini-Auftritt in dem Film „Kostas der Grieche“ in manchen Ländern, auch in Deutschland, herausgeschnitten wurde, meinte er:  „So wie man meinen Auftritt eliminiert hat, so versucht man heute, Griechenland aus Europa zu verbannen.“ Grigoris reichte mir ein neues Glas Whisky. „Stin igia mas file. Sag mal, gibt es Kosta noch?“ „Klar“, erwiderte ich. Grigoris erhob noch einmal sein Glas: „Um mit ihm zu sprechen: Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben. Danke, dass ich es als Grieche leben darf, auch in Australien.“

Einmal noch

Wir saßen an einem Juliabend in unserem Hof in Heraklion, tranken Raki und ließen den Tag Revue passieren. Wir waren zunächst zu viert, als Manos und seine Frau dann doch noch kamen, obwohl er bis weit nach Einundzwanzig Uhr hatte arbeiten müssen. Lefteris Schicht bei Quick endete auch um diese Zeit, so dass er einige Pita-Brote mit Souvlaki und Bifteki brachte und wir somit auch die richtigen Mezedes zum Schnaps hatten. Der Tag war durch die Nachricht eines schweren Busunglücks geprägt. Über zwölf Tote, und mehrere Verletzte kämpften noch im Venizelou Krankenhaus und in der Uniklinik um ihr Leben. „Das Leben ist ein Wimpernschlag“ ist nicht nur eine Floskel.Jemand in der Runde meinte, dass wir uns, obwohl wir alle so verschieden sind, oft nur in Kleinigkeiten unterscheiden. Wenn es aber ums Ganze geht, rücken wir enger zusammen und helfen uns gegenseitig. „Das ist es doch, was einen Menschen ausmacht“, sagte Tante Filareti und Eleni wie auch manch anderer in der Runde nickte zustimmend. „Aber wenn ich noch einmal könnte,“ fuhr Filareti fort, „dann möchte ich noch einmal mit meinem Tasso, Gott hab ihn selig, die Akropolis besuchen.“ Manos meinte daraufhin, dass wenn er etwas noch einmal erleben möchte, dann wäre es der Blick von Tenia, als er ihr den Heiratsantrag machte. Bald war jeder dabei, einen Wunsch auszusprechen und die waren so unterschiedlich wie diese Runde in unserem Hof.
Da waren Aussagen wie:
– Einmal noch sollte mir dieses Stifado gelingen, von dem meine Schwester nach dreißig Jahren immer noch spricht.
– Einmal noch möchte ich, dass die Kinder so klein sind, dass ich ihnen wieder einmal so richtig in den Hintern kneifen kann.
– Einmal noch möchte ich Casablanca sehen und mich mit nassen Augen nach Ingrid Bergmann sehnen.
– Einmal noch möchte ich am Koules bis ganz zum Schluss gehen und danach bei „Ligo Krasi“ einen Liter Retsina trinken.
– Einmal noch möchte ich Dimitra sagen, dass ich sie sehr liebe und das Chania und Iraklion keine Welten voneinander entfernt sind.
– Einmal noch möchte ich das Konzert von Maheritsas im Kalimarmaro erleben und dabei in der ersten Reihe sitzen.
– Einmal noch möchte ich im Stadion sitzen und unser Mittelstürmer soll den entscheidenden Elfmeter links oben in die Maschen knallen.
– Einmal noch würde ich gerne ein Schulkind sein und mit meinem heutigen Wissen Klassenarbeiten schreiben.
Kein einziger in der Runde äußerte den Wunsch, im Lotto zu gewinnen oder eine unerwartete Erbschaft zu erhalten. Es sind die kleinen Wünsche die, einem helfen, das Leben zu meistern, Wünsche und Sehnsüchte, Begehren und Hoffnungen. An diesem Abend, als wir alle im Hof saßen und die traurige Nachricht des Busunglücks verarbeiteten, gab es keine Eifersüchteleien und Kleinkriege, es gab keine Missgunst und Demütigungen. Bis dato hatte jeder etwas gesagt, nur Kostas meinte: Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben. Danke dass ich es als Grieche leben darf.

NSA auf Kreta

Manolis warf sich schwungvoll in einen Sessel. Die Nummer, die er wählen wollte, hatte er bereits tausendmal gewählt. Irgendwo spürte er ein Geräusch, er hörte es nicht, er spürte es in sich und er wusste, die Zeit wird knapp, er musste sofort handeln. Er hob den Telefonhörer ab, sah, dass er drei nicht abgehörte Nachrichten hatte, ignorierte dieses und tippte fast wie ein feierliches Ritual die achtstellige Nummer. Es klingelte drei Mal, dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein. “Guten Tag…Sie haben die Nummer….“ Anrufbeantworter waren für ihn das allerletzte, er hasste diese elektronischen, nervtötenden Geräte. Und als er ohne einen Ton zu sagen den Hörer auflegte, war dieses Geräusch wieder da, nur lauter und jetzt deutlich vernehmbar. Er stand auf und schlich sich zur Fensterfront des Zimmers. Der Lärm von Heraklion war ihm bekannt, in diesen Lärm vermischte sich ein anderes Geräusch, so bekannt und doch so verstörend. Auf einmal kam ihm dieses Zimmer größer als sonst vor. Irgendetwas war anders. Die Bücherregale waren wie immer vollgestopft und sein Schreibtisch voller Papierstapel. Die Bilder waren dieselben, die er kannte und die drei Neonleuchten strahlten genau so grell wie immer ihr unnatürliches Licht. Er schloss für einen Moment seine Augen und versuchte, seine Sinne zu ordnen. Scheinbar war alles wie immer, aber eben nur scheinbar. Ziellos begann er im Zimmer umherzugehen. Noch einmal irrte sein Blick über die Wände. Er versuchte sich irgendetwas einzuprägen, damit seine Gedanken eine andere Richtung erhielten. Er erinnerte sich an seinen Bruder, der ihm mal sagte, dass er Zehn Euro bekommen würde, wenn er drei Stunden lang nicht an einen roten Elefanten denkt. Und es ist das sicherste der Welt, dass tatsächlich derjenige an nichts anderes als eben diesen roten Elefanten denkt. An diesem Punkt setzten sein Verstand und sein Jetzt aus. Auf einmal vollkommene Leere. Vor ihm schwebten zusammenhanglose Erinnerungen, ein greller Blitz, ein Schrei und dann dieses Vakuum. Als er erwachte, fand er sich in einem Krankenhaus wieder, es musste ein Krankenhaus sein. Kahle weiße Wände, ein grelles Deckenlicht und ein Eisenbett. Seine Arme und Beine waren mit Lederriemen festgezurrt. Ein unheimliches Zimmer. Er atmete mehrmals tief ein und aus, doch dieses Brennen auf der Zunge blieb. Ein Gefühl der Angst kam in ihm auf. Seine Gedanken versuchten, logisch seine Situation zu bewerten. Er suchte Argumente und Bestätigungen, die sein Hiersein erklärten. Er presste seine Augenlider fest zusammen, und als er diese wieder öffnete, tanzten Lichtstreifen vor ihm. Er versuchte, die Hände zu Fäusten zu ballen.Verzweifelte Anstrengungen in einer verzweifelten Lage. Was war geschehen, er sah sich im Straßencafé sitzen und dann irrte er vermeintlich ziellos durch die Altstadt. Er konnte sich nicht erinnern, wo er überall war. Begegnete er Menschen? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass alles hier fremd für ihn war, obwohl er sein ganzes Leben nirgendwo anders gelebt hat. War er entführt worden? Er kam sich so ausgelöscht vor, so benutzt.
Schritte kamen näher und die Stimmen zweier Männer waren deutlich vernehmbar. Er stellte sich schlafend und hörte aufmerksam zu wie sich die zwei Männer, offensichtlich Ärzte, unterhielten. Der scheinbar ältere der beiden sagte, dass in einer psychologischen Untersuchung gezeigt wurde, dass unser Gehirn kaum noch Inhalte von Informationen speichert, sondern lediglich den Ort, wo diese Informationen stehen. Und diese Veränderung wird in einem Großversuch in Griechenland vorgenommen.
Weiter vernahm er, dass durch die Tatsache, dass knapp 55 Prozent der jungen Menschen unter 25 arbeitslos sind, viele geeignete Menschen zur Verfügung stehen, da das Bildungsniveau sehr hoch und die Griechen seit je her für ihre Wissensdrang zu solchen und ähnlichen Experimenten brauchbar waren. Die Gelder für diese Versuchsreihe werden durch die IWF bereitgestellt, die sehr eng mit der NSA (National Security Agency), des größten Auslandsgeheimdienstes der Vereinigten Staaten, arbeitet. Die NSA ist, wie wir seit Edward Snowden wissen, für Überwachung, Entschlüsselung und Auswertung elektronischer Kommunikation zuständig. Manolis blinzelte und sah, wie der jüngere der Beiden auf die Uhr blickte. Der Ältere nickte ihm zu. „Gehen Sie in die Pause,“ sagte er, und nachdem dieser den Raum verlassen hatte, kam er an Manolis Bett und beugte sich zu ihm hinunter. “Du brauchst keine Angst zu haben, der Eingriff ist absolut schmerzlos und später wirst Du Dich an nichts mehr erinnern. Wir jedoch werden Dir die politische Gesinnung austreiben und Deine „Syriza“ wird bei den nächsten Wahlen die Hälfte der Stimmen einbüßen.Kosta würde in so einen Fall sagen: “Lieber Gott wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.”

 

 

Weinprobe in Dafnes

Bei unserer letzten Kretareise hatten sich mein Schwager Werner und seine Frau Monika uns angeschlossen. Werner, ein Badener durch und durch, war zwar schon mal in Griechenland, jedoch noch nie auf Kreta. Um den beiden unsere zweite Heimat näher zu bringen, hatte sich meine Frau einige Highlights schon ausgesucht. Klar, dass hier ein Ausflug nach Agios Nikolaos wie auch eine Rundfahrt durch die Lasithi- Hochebene dazu gehörten. Ein Besuch des Klosters Savathianon war so unumgänglich wie auch diverse andere Aktivitäten, die man, ohne in Stress auszubrechen, in sieben Tagen erleben kann. Wir besuchten die beiden zwei Wochen vor dem Abflug und wollten bei einem gemütlichen Nachmittag einige Informationen austauschen und vielleicht noch die eine oder andere Idee gemeinsam erörtern. Es war ein sehr schöner Sonntag und Monika schlug vor, in die benachbarte Pfalz zu fahren, mit dem Schäferhund Jenny eine kleine Runde zu drehen und dann in einer der zahlreichen Vinotheken entlang der deutschen Weinstraße ein Gläschen zu trinken. Ok, hier muss ich zugeben, dass ich, was Weine anbelangt, weder von Dionysos, dem griechischen Gott des Weines, noch von seinem römischen Kollegen Baccus geküsst worden bin. Gerne trinke ich ein Gläschen Retsina und dann hat es sich auch.Jetzt waren wir jedoch in der Pfalz und da gibt es keinen Retsina. Werner jedoch ließ sich nicht lumpen und spendierte mir ein Viertele, welche Sorte habe ich leider wieder vergessen, aber dieser schmeckte so, wie meiner Mutters Sohn den Wein liebt, lieblich und richtig fruchtig. Wieder zuhause angelangt kam meiner Frau die Idee: Wir machen auf Kreta eine Weinprobe. Ok, gesagt aber noch lange nicht getan. Aber wie heißt es so schön auf „altgriechisch“: Nicht verzagen, Kosta fragen. Wir hatte für uns einen besonderen Tipp: Winzerfamilie Douloufakis in Dafnes. Somit war klar, wir mussten in diesen sieben Tagen auch eine Weinprobe machen. Auf Kreta eingetroffen, rief ich am Vortag des geplanten Events bei der besagten Weinkellerei an, eine sehr freundliche und höfliche Dame erklärte uns den Weg und somit machten wir uns am nächsten Tag auf den selbigen, um ins schöne Örtchen Dafnes, das mit seinen ca. 1500 Einwohnern knappe 20 km südlich von Heraklion zu finden ist, zu gelangen. Das Weingut ist mit modernster Technologie ausgestattet und erbringt eine Kapazität von ca. 2.000 Hektolitern.Für griechische Verhältnisse, früh gegen 13:00 Uhr, kamen wir an und Michalis, ein überaus sympathischer Mitarbeiter von Katerina und Nikos Douloufakis, machte mit uns eine Privatführung. Er erklärte uns, wie aus einer Idee ein Wein entsteht, für mich alles neu, für meinen Schwager nur eine Bestätigung seines Wissens. Die Führung wurde fortgesetzt in der Abfüllanlage, und als ich eine Frage nach der Quantität stellte, wurde die automatische Maschine kurzerhand ausgeschaltet und die zwei Mitarbeiter standen parat, um unsere Fragen zu beantworten. Wir erfuhren, dass in Deutschland drei Großhändler zu den guten Kunden zählen und machten uns dann auf den Weg zur Probierstube. Michalis erläuterte uns die kretischen Rebsorten Tachtas, Vilana, Soultanina, Liatiko und so weiter und berichtete, dass man auch internationale Sorten wie Cabernet, Merlot, Sylvaner und Chardonnay im Repertoire hat. Die Weinprobe begann.
Auf den Tisch wurde Kefalotiri in Würfeln sowie kretischer Zwieback gestellt und 9, in Worten neun Flaschen wurden entkorkt und probiert. Immer wieder hörten wir, das Kreta ein enormes Potential hat und dass es allein in Dafnes mehrere Winzerfamilien gibt. Wir waren inzwischen bei der siebten oder achten Flasche angelangt, als Michalis begann, von sich und seiner Familie zu erzählen. Er war in Ioannina geboren, hat in Athen studiert hat und dort seine Frau kennen gelernt, die eben aus Dafnes stammt. So zog er der Liebe wegen nach Kreta und fand bei der Familie Douloufakis einen besonders guten Arbeitgeber. Er offenbarte uns ein Geheimnis, das wir jedoch noch nicht weitererzählen dürfen. Also werde ich hier noch nichts verraten. Wir versprachen ihm jedoch, Ende Juni noch einmal zu kommen und bei diesem Besuch wird er uns grünes Licht geben, das Neueste aus dem Hause Douloufakis bekannt zu machen. Die für mich beste Weinprobe aller Zeiten ging zu Ende, ok, es war wie gesagt meine erste, aber bei der Winzerfamilie Douloufakis mit Sicherheit nicht die letzte. Heute Abend werden wir eine Flasche Douloufakis Malvasia PGI entkorken und uns an diesen sehr informativen Nachmittag erinnern. Ich möchte nicht vergessen zu erwähnen, das Monika inzwischen einen Volkshochschulkurs „Griechisch für Anfänger“ gebucht hat und Werner schon danach schaut, wann wir wieder gemeinsam nach Kreta reisen werden. Wie sagt mein Cousin Kostas doch so schön: “Gott, wir haben doch nur eine Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf”.

Der Schlafzimmerschrank

Eines Tages stand der Entschluss fest: ein neuer Schlafzimmerschrank muss her! Der alte, der zu Recht seinen Namen „alter Schrank“ trug, wurde entsorgt. Genauer gesagt, Tante Filareti meinte, dass in Heraklion viele diesen „alten Schrank“ gerne als „neuen Schrank“ nehmen würden und somit war dieser, nachdem die Entscheidung der Entsorgung gefallen war, innerhalb von wenigen Minuten schon an den Mann gebracht. In diesem Fall an die Frau, nämlich an Penelopi, die in der Parallelstraße der Trifitsou wohnt. Tante Filareti hatte morgens um 10:00 Uhr die Kunde verbreitet, dass ein Schrank abzugeben wäre. Keine Stunde später stand nun Penelopi vor der Tür, gemeinsam mit Pandelis und Odysseus, ihren zwei Söhnen.Das Problem war jedoch, dass der Schrank nicht eher weg sollte, als bis wir einen neuen besorgt hatten. Der Krisenrat war einberufen und Kostas meisterte es wieder einmal so, dass er beschloss, dass ich mit meiner Frau zu einem Möbelgeschäft gehen und dort einen Schrank kaufen sollte und er in der Zwischenzeit gemeinsam mit den Söhnen der Frau Penelopi den alten in seine Einzelteile zerlegt, damit ein Transport ermöglicht werden kann.Meine Frau meinte lediglich, dass sie doch selber zunächst einmal alle Wäsche ausräumen müsste und dass sie dazu eine gute Stunde brauchen würde. Kein Problem, also setzten sich alle erst einmal hin, Kaffee wurde gekocht und Filareti hatte noch einige selbstgebackene Koulouria. Ich gebe es zu, zehn Minuten eingetunkt, wurden diese auch weich. Das Schlafzimmer ähnelte einem Kriegsschauplatz und auf dem Ehebett war bis zur Decke hin Wäsche gestapelt, die im „alten Schrank“ geschlummert hatte. Meine Frau meinte, sortieren tut sie sowieso erst dann, wenn der neue Schrank da wäre.Im Hof waren inzwischen drei weitere Nachbarn angekommen, die helfen wollten und Kostas übernahm die Organisation des Abbaus und des Transport. Meine Frau und ich machten uns auf den Weg Richtung Knossos, da an dieser Straße mehrere große Möbelgeschäfte heimisch waren. Wir betraten das Möbelgeschäft Mitropoulos und schon im Eingangsbereich wussten wir, dass wir hier fündig werden würden. Eine sehr attraktive Mittdreißigerin begrüßte uns auf Englisch um, nachdem wir Kalimera gesagt hatten, auf Griechisch fortzufahren. Wir sagten, dass wir uns lediglich umschauen wollten und sie widmete sich einem jungen Mann der gerade den Laden betrat. Wir hörten wie sie: „Good morning, welcome.” flötete. Der Laden war sehr großzügig angelegt, und große Möbelhäuser in Karlsruhe oder Stuttgart könnten nicht besser ausgestattet sein. Wir erreichten die Schlafzimmer- Abteilung und innerhalb von Sekunden wussten wir, der da vorne, der fünftürige weiße Schrank, wird unser neuer Schrank werden. Auf dem angebrachten Schild stand ein Preis, der durchgestrichen war, und von Hand ein viel günstigerer quer darüber. Im Schrank lag ein Zettel mit einem dritten Preis. Exakt in dem Moment als wir uns unterhielten, welcher Preis jetzt gelten würde, kam ein Mann, Ende Fünfzig, mit der Physiognomie eines Altrockers wie Vassilis Papakostantinou. Wir fragten nach und er grüßte uns höflich. „Elate, kommt mit“, sagte er und führte uns in sein Büro, das mitten im Möbelhaus zwischen zwei Boxspringbetten eingerichtet war. „Na lass uns mal schauen,“ fuhr er fort, und jedes Mal, wenn er im PC etwas gefunden hatte, streckte er die Faust wie ein Tennisspieler und schrie: „YES“. Das geschah so sieben bis acht Mal, bis ich ihm sagte, dass wir lediglich nur einen Schrank benötigen. Er erwiderte, das wäre ein Sondermodell mit vielen Extras und er würde jetzt prüfen, ob der Gesamtpreis inclusive aller dieser Accessoires wäre.Nach dem zehnten „YES“ murmelte er etwas vor sich hin, griff zum Telefonhörer und fragte nach, ob er mit seiner Maus auf das Druckersymbol klicken müsste, um uns das Angebot des Schranks auszudrucken und die Stimme schien ihm beigepflichtet zu haben, so dass er nach einem erneuten “YES“ dieses tat und der Drucker mit der Ausgabe der Blätter begann. Es waren insgesamt vier Blätter, und unser Starverkäufer nahm jedes einzelne heraus, schaute es mit Sorgfalt an, um uns dann, nachdem er seine Altrockerhaare um sich geschüttelt hatte, das Komplettpaket vorzulegen. Er machte uns darauf aufmerksam, dass es sich hier um einen Designerschrank der Firma XY aus dem Schwarzwald handelte und er deshalb im Preis reduziert sei, weil nächste Woche von einer Möbelmesse in Athen ein neues Modell kommen würde. Firma XY aus dem Schwarzwald, maximal 100 Kilometer von unserem Wohnort in Deutschland gelegen, ist bekannt für sehr gute Qualität. Meine Frau wie ich waren sehr angetan, nicht nur die Optik sondern auch der Preis waren so, dass wir nicht lange gefackelt haben und schließlich brauchten wir schnell einen Schrank, weil der „alte“ mit Sicherheit inzwischen bei Frau Penelopi wäre. Bei nochmaliger Durchsicht des schriftlichen Angebots bemerkte ich, wie oben rechts zu lesen war: „Verkäufer Drakopoulakis, Agnostos“.„Sie haben einen schönen Vornamen“,  sagte ich zu unserem Verkäufer, „und so selten. Ich kenne sonst niemanden, der Agnostos heisst.“ Er stutzte, schmunzelte dann und erklärte, dass, obwohl er schon über zwanzig Jahre hier arbeitet, der IT-Spezialist seinen Vornamen nicht wusste, als vor wenigen Wochen zum ersten Mal ein EDV-System eingeführt wurde. Deshalb war das entsprechende Feld automatisch mit dem Wort „agnostos“ (unbekannt) befüllt worden.
Wir nahmen uns dann schon die Zeit um zu überlegen, welche Vorteile so ein Vornamen hätte.
Bei der Polizeiwache: „Wer hat Sie überfallen?“ Antwort : Unbekannt
In der Schule: „Wer hat die Wände beschmiert?“ Antwort : Unbekannt
Auf dem Standesamt: „Wer ist der Vater Ihres Kindes?“ Antwort : Unbekannt
Für Statistiker unter uns sei noch erwähnt, dass der Schrank keine vier Stunden später abgebaut und bei uns im Schlafzimmer wieder aufgestellt wurde. Zwei Handwerker aus dem Möbelhaus, Kostas und ich saßen danach im Hof. Meine Frau ließ es sich nicht nehmen, den „neuen Schrank“ einzurichten. Wir tranken kretischen Raki und ließen uns von Quick, unserem „Lieblingsschnellfress“, Gyros, Souvlaki und sonstige Leckereien bringen. Die Monteure waren gerade dabei sich zu verabschieden, als es klingelte und unser neuer Freund Herr Unbekannt vor der Tür stand.Eine neue Flasche Raki wurde geöffnet. Inzwischen hatte meine Frau, ich hab sie so unwahrscheinlich lieb, allein den ganzen Schrank eingeräumt und gesellte sich zu uns. Einige Zeit später, als die Gäste aufstanden, meinte Kostas: „Hey, wir haben tatsächlich drei Flaschen Raki geschafft.“ Die dritte nämlich brachten am späten Abend die Söhne der Frau Penelopi, die sich mit in die Runde setzten. Wer hat wohl das meiste getrunken? Die Monteure und wir riefen fast gleichzeitig: Unbekannt! Kostas brachte alle zur Tür, schaute uns fröhlich an und meinte:“Lieber Gott, wir haben nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf”.

Tante Filareti in der Pflege

Wir sollten uns davon distanzieren zu glauben, dass in Ländern, denen es momentan finanziell nicht gut geht, auch alles viel schlechter als bei uns ist. Es ist vielleicht anders und trotzdem denke ich, dass Parallelen sich auch hierzulande finden.Das aktuelle Beispiel ist der Tatsache zu verdanken, dass Tante Filareti in Heraklion einen kleinen häuslichen Unfall hatte und ihr Bein geschient werden musste. Sie war somit absolut bewegungsunfähig und das wäre kein so großes Problem gewesen, wenn nicht ausgerechnet jetzt Anna und Katharina, ihre zwei Freundinnen, bei ihren Kindern in Patras beziehungsweise Thessaloniki gewesen wären und Kostas mit Eleni den ersten kleinen viertägigen Urlaub nach zwanzig Jahren angetreten hatten. Filareti musste nun schauen, wie sie die nächsten vier Tage und drei Nächte über die Runden kommt.Was bei uns hier Kurzzeitpflege genannt wird, die in Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder ausreichend ist, ist in Griechenland die Nothilfe und die sieht so aus, dass der- oder diejenige bis zu einem Monat in einem Altersheim untergebracht wird, damit die notwendige Unterstützung geleistet werden kann. Filareti, die ihr ganzes Leben auf sich allein gestellt war und alles gemeistert hatte, nahm diese Sache gelassen entgegen und freute sich, den „Alten“ – sie ist bekanntlich 91 Jahre jung-, zu zeigen, wie rüstig man sein kann. Im Kopf fit wie die neuesten Turnschuhe von Nike oder Adidas, an den Beinen jedoch lahm wie eine müde Schnecke, wurde sie mit einem Krankentransport in ein Altersheim nahe Knossos gebracht. Sie machte sich Mut und sagte sich, dass diese vier Tage mit Sicherheit schnell vergehen werden.Sie kam um 11:30 Uhr im Altersheim von Knossos an und eine nicht unbedingt gut aufgelegte Empfangsdame, die kaum griechisch konnte, sagte zum Fahrer, dass er das nächste Mal, wenn er jemand bringen würde, doch nach 13:00 Uhr kommen sollte, weil jetzt müsste ein weiteres Maul gefüttert werden. Filareti nahm es gelassen hin. Sie wurde kurzerhand mit dem Rollstuhl an einen Tisch in der Cafeteria gefahren und kaum hatte sie sich versehen, fand sich auch ein Lätzchen um ihren Hals. Sie machte der Frau, die so selbstlos und hilfsbereit war, klar, dass sie nichts an Oberkörper oder Händen hätte, sondern ihr Bein wäre still gelegt worden. Die Helferin, die fast genau so wenig griechisch konnte wie die selbst ernannte Empfangsdame murmelte etwas wie: „sitzen, ruhig sitzen.“ Man legte ihr auch Plastikbesteck zur Seite und ermahnte sie, doch noch etwas zu warten. Dieses Warten dauerte fast eine halbe Stunde. In dieser Zeit füllte sich der Raum mit älteren Herrschaften mit den diversesten Charakteren. Der Fünfer-Tisch, an dem Filareti platziert war, war belegt mit Domna, einer sechsundachtzigjährigen blinden Frau, Lula, nicht viel jünger und taub, Katina, weit in den Neunzigern, blind und taub und Melpomeni, die noch sehr jung und rüstig aussah, aber Filareti am unangenehmsten auffiel, weil sie, kaum am Tisch sitzend, den Salzstreuer zu sich nahm und den Inhalt großzügig über den Bauernsalat, der in der Tischmitte stand, streute. Der Salat war ungenießbar, aber Melpomeni zufrieden. Danach war Mittagsruhe angesagt. Filareti sah nun ihr „Hotelzimmer“, wie sie später berichtete, zum ersten Mal. Ihr Badezimmer zuhause war viel größer und geräumiger. „Du müssen jetzt schlafen“, sagte die Betreuerin, die sich jetzt einen weißen Kittel angezogen hatte. Bis vor zehn Minuten war sie noch Empfangsdame. „Aber ich will nicht schlafen“, erwiderte Filareti. „Müssen aber!“ war die Antwort, und kaum hatte sich Filareti versehen, hatte dieses Mannsweib sie ins Bett gepackt und ermahnt: „Ruhig sein, schlafen, alle jetzt schlafen.“ Filareti lag nun da und besann sich, dass sie seit einer guten halben Stunde aufs Klo musste. Zaghaft rief sie „Hallo“, und dann etwas lauter, nichts geschah. Dann sah sie links vom Bett eine Kordel, die sie sofort als Alarmklingel identifizierte. Sie zog daran und tatsächlich öffnete sich einige Minuten später die Tür und die uns inzwischen alte Bekannte, die Olga hieß, erschien. „Du sollen schlafen“, sagte Olga. „Aber nicht ohne vorher auf die Toilette zu gehen,“ meinte Filareti. „Du kannst aber nicht gehen“, sagte Olga. „Darum habe ich ja auch gerufen“, meinte Filareti. Wir kürzen das Weitere ab, letztendlich schnappte sich Olga mit sicherlich hundertmal geübten Bewegungsabläufen Filareti, was mit deren knapp 60 kg kein Problem war, und brachte sie zur Toilette, die sich am Ende des Ganges der Abteilung befand. Gekonnt zog sie ihr Hose und Strümpfe aus und setzte sie auf die Brille. Filareti schlief, wieder in ihrem Bett, tatsächlich ein. Kurz nach siebzehn Uhr wachte sie durch laute Musik auf, die aus dem Nebenzimmer kam. Es war Lula, die sehr taub war und Musik nur durch Vibrationen genießen konnte. So schlimm war der Lärm dann auch nicht, wusste später Filareti zu berichten, es sang doch Mitropanos. Das Abendessen wurde um 19:00 Uhr gereicht. Es gab diverse Vorspeisen auf Basis von Zatziki, was Filaretis Laune spontan hob. Als durch Olga die Teller weggeräumt waren, zog Filareti zwei Satz Karten aus ihrer Kitteltasche und fragte in die Runde, wer noch etwas spielen wollte. Alle bis auf Domna, die nichts sehen konnte, waren dabei. „Das trifft sich gut“, sagte Filareti, „wir können auch nur zu viert spielen“, und verteilte die Karten, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die anderen die Regeln für Pinacle kannten. Da Melpomeni sehr rasch müde wurde und sich nicht konzentrieren konnte, sprang Olga als vierte in der Runde ein, bis Lula weit nach Mitternacht fragte, was es morgen zum Mittagessen geben würde.Um zwei Uhr in der Früh, Filareti hatte bereits weit über die Hälfte der Partien für sich entschieden, beschloss man, eine Pause einzulegen, um am nächsten Tag weiter zu machen. Die nächste Tage vergingen und Filareti wurde zum Star des Altenheims. Am Abend des vierten Tages klingelte es an der Haustür, die um zwanzig Uhr verschlossen wurde. Es waren Eleni und Kosta, die Filareti wieder mitnehmen wollten. „Ich denk ihr seid in Athen“ sagte Filareti. „Wir sind seit einer Stunde wieder zurück“, meinte Eleni. „Heute ist doch schon Dienstag“. Filareti stellte ihnen ihre Kartenspielschwestern vor und nachdem Kostas meinte, jetzt wäre ein kretischer Raki angebracht, stand Olga auf und schwups war sie mit mehreren Gläsern und einer Wasserflasche, die dieses Feuerwasser enthielt, zurück. Kostas blickte in die fröhliche Runde und meinte: „Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben. Danke, dass ich es als Grieche leben darf.“