Ehrliche Lügen

Als man Dich fand
Keine drei Schritte vor dem Tod
hattest Du nur…..
–Weiterleben– hauchen können
Man versetzte komplette Abteilungen in Bereitschaft
Man suchte Tage, Wochen und Monate nach einem Zeichen
Viele zweifelten schon daran
Überhaupt einen Anhaltspunkt zu finden.
Bis sich die Spuren durch die Realität beseitigten
Und lediglich ein weiterer ungelöster Fall das
Archiv des Kriminalinstituts dekorierte.

Du hattest meine Adresse in Deiner Tasche und
Als der Anruf kam, ich solle zum Präsidium kommen
Lagst Du vor mir und erspähtest mich mit diesem Blick
Wie vor genau zwölf Jahren, als ich Dich das letzte Mal sah.
Ich erinnerte mich an Deine Worte
Du sagtest: “In einem anderen Leben vielleicht“
Und trotzdem schmecke ich
Jedes Mal wenn ich mich hinlege
Deinen Geruch im Bett
Die Tage vollkommen leer
Würdelos
Als wäre das Leben eine Gewohnheit.
Den Geschmack Deiner Haut spüre ich immer noch
Wenn ich die Augen schließe und an Dich denke
Ich will nicht schlafen wenn ich träume, will wach sein
Genießen, schwelgen, mich an dem Augenblick erfreuen.
Man sagte mir, Du würdest apathisch sein
Wer wagt es, Dich so zu nennen, Dich, die das Leben genoss
Du warst der Spiegel meiner Seele
Hier und jetzt
Jetzt, wo Du wieder da bist,
Hat mein Leben einen Puls.

Süße Verwirrungen durchlebten wir
Du, Du bist nicht anders, Du bist mehr
Und wenn jetzt meine zersetzten Erinnerungen
Die Zeit zurückbringen
Erkenne ich Dich in dem Lärm der Straße
Im Rauschen des Sommerwindes
In der Stille meiner Einsamkeit.

Das Protokoll war einfach und akkurat:
Unbekannte Frau, sichtlich verwirrt,
Genitalien verstümmelt starke Prellungen
Apathisch, lethargisch, interesselos unbeteiligt.

Ich war Dein Liebhaber
Und manchmal Dein Freund.
Ich hatte nie die Kraft, einfach ins Auto einzusteigen
Und zu sehen, wohin mich die Straße führt
Ich hatte jedoch stets das Verlangen
Dich in meiner Nähe zu wollen.

Du warst erst Mitte dreißig und
Hattest das Alter der Ewigkeit in Deinen Gesichtszügen
Du strahltest stets inneren Frieden aus
Vielleicht hatte ich nie genug Schmerz in mir
Dich zu verstehen.

Ein Augenblick der Vollkommenheit erwacht
Ein unerreichbarer Traum
Eine unendliche Erfüllung.

Du liegst auf einer Bahre
Wie andere in ihrem Sarkophag
Und Dein Blick kann meinen nicht finden
Wie wunderschön Du bist
Jetzt auch in dieser Stunde.
Der Zauber Deiner Schönheit hat immer
In Deiner Ungeduld ihren Ursprung gehabt.
Da liegst Du nun
Deine zarte lichtundurchlässige Haut
Leugnet Dein wahres Alter.

„Hörst Du mich“ flüstere ich
„Bist du wach?“
Irgendwann, nach Jahrtausenden glaube ich ein
–Weiterleben—zu hören
„Bitte wiederhole“ fahre ich fort
Und da zerbrochene Seelen
Das Licht spiegeln, vernehme ich deutlich die Worte:
„Ich will nicht weiter leben“

Abwesenheit, die in meinem Herzen pocht
Erstarrt den aller letzten Rest an Kraft in mir.
Wie kommt man aus seinem Leben
Da dort, wo Zuneigung weilt
Liebe nicht immer existiert
Dort wo die Fragen sind
Es nicht immer Antworten gibt.

„Haben Sie diese Frau gekannt“
„Kann mich nicht erinnern“ log ich
„Sie ähnelt einer früheren Bekannten,
nein, ich denke nicht, dass sie es ist.“

Als ich wieder nach Hause ging
Trunken vor Schmerz, da ich mit Deinem Tod
Mein Profil verlor
Zogen die Jahre unseres Beisammenseins
Wie Wächter des Herzens vorbei.
Und das Bewusstsein für
Ehrliche Lügen begann.