Das Seniorenhandy

Jeder, der in Griechenland war und nach seinem Urlaub zurückkehrt, kann etwas von der berühmten griechischen Gastfreundschaft berichten. Man hat nicht viel, aber man teilt es. Und jedes Mal, wenn wir in Kreta sind, bekochen uns abwechselnd die Cousinen. Am Anfang war es uns etwas peinlich. Wir können uns doch nicht hinsetzen, uns die Bäuche füllen und wissen, dass die Gastgeber selber nicht viel haben. Aber das ist halt so in Griechenland, das wurde uns schnell bewusst, und um eine Kleinigkeit zurück zu geben hat es sich eingebürgert, dass wir an unserem letzten Tag auf Kreta gemeinsam essen gehen und wir laden ein. Zwischen zehn und vierzehn Leute sind wir dann, und stets endet der Abend mit der Gewissheit, einige wunderschöne gemeinsame Stunden mit den Verwandten verbracht zu haben.
So begann auch der Augustabend, über den ich berichten möchte. Dieses Mal hatten wir uns in einer Musik-Taverne in Chersonissos verabredet. Diese Taverne hatten wir zwei Wochen vorher schon einmal besucht, und schon da war uns der mürrische, völlig überforderte Kellner aufgefallen. Gäste, die sich zum Teil die Speisekarten selber holten, wurden ignoriert und standen schließlich auf und gingen. Wir waren zu zwölft. Wir hatten reserviert und unser Tisch stand bereit….. und auch der Kellner, zwar nicht sofort, aber unmittelbar, nachdem wir ihn drei Mal gerufen hatten. Es wurde rund herum bestellt, bis die Reihe an meine Frau kam und sie, wie immer in Griechenland, zwar mit einem leichten badischen Akzent, aber absolut sauber und verständlich auf Griechisch bestellte. Der Herr Oberkellner äffte sie nach und ich bemerkte die Mine meiner Frau, die sichtlich erleichtert war, als er sich dem Nächsten widmete, sich sehr nah, fast Kopf an Kopf, zu meinem Neffen beugte und dann das Bestellte auf seinem Block aufschrieb. Das Essen kam step by step, manche hatten schon leer gegessen, bevor die anderen ihre Hauptspeise bekamen. Niemand hatte jedoch noch richtig Hunger, weil die Auswahl der Vorspeisen so reichlich gewesen war. Ich aber, der um die Vorspeisen einen großen Bogen macht, hatte Hunger, und als mein Neffe Dimitris als Vorletzter am Tisch seinen Ziegenbraten bekam, schaute ich fragend den Kellner an, der mir mit einem Lächeln signalisierte, ich würde auch gleich dran kommen. Inzwischen hatte meine Tochter Katharina zwei Mal nach einer Limo gefragt, das letzte Mal vor einer halben Stunde, und als dann der Nachtisch serviert wurde, ohne dass mein Essen bei mir angekommen war, kam mein südländisches Blut in Wallung. Ich wollte mich bemerkbar machen, und ich tat es auch. Wie auch immer, meine Faust fiel so krachend auf den Tisch,  dass es auf einmal mucksmäuschenstill wurde. Alle schauten zu mir. Der Pianospieler hörte auf zu spielen, jemand versteckte sich hinter einer Säule und gut siebzig Augenpaare waren auf mich gerichtet. Angriff ist die beste Verteidigung, sagte ich mir und schrie den Kellner an, was für eine Tranfunzel er sei. „Katharina wartet seit einer halben Stunde auf die Limo und ich zweieinhalb Stunden auf mein Essen!“  Als ich die beruhigende Hand des Chefs des Lokals, der gleichzeitig der Pianospieler war, auf meiner Schulter fühlte, entschuldigte ich mich für diesen etwas temperamentvollen Ausbruch, aber der Kellner wäre eine reine Zumutung. Der Chef milderte meine aufgebrachte Stimmung mit Raki.
Schließlich sollte ich noch erwähnen, dass meine Lammkoteletts und die Limo nicht mit auf der Rechnung zu finden waren und dass ich später erfuhr, dass der besagte Kellner schwer taub wäre, sein Hörgerät niemals anzieht und deshalb sehr oft die Hälfte nicht hört und  somit auch nicht aufschreibt. Trotzdem verliert er seine Stelle nicht.
Kosta, der mir gegenüber saß, meinte nur: Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf