von Niko Papadakis | Feb 10, 2017 | Nikos erzählt
Eines Tages stand der Entschluss fest: ein neuer Schlafzimmerschrank muss her! Der alte, der zu Recht seinen Namen „alter Schrank“ trug, wurde entsorgt. Genauer gesagt, Tante Filareti meinte, dass in Heraklion viele diesen „alten Schrank“ gerne als „neuen Schrank“ nehmen würden und somit war dieser, nachdem die Entscheidung der Entsorgung gefallen war, innerhalb von wenigen Minuten schon an den Mann gebracht. In diesem Fall an die Frau, nämlich an Penelopi, die in der Parallelstraße der Trifitsou wohnt. Tante Filareti hatte morgens um 10:00 Uhr die Kunde verbreitet, dass ein Schrank abzugeben wäre. Keine Stunde später stand nun Penelopi vor der Tür, gemeinsam mit Pandelis und Odysseus, ihren zwei Söhnen.Das Problem war jedoch, dass der Schrank nicht eher weg sollte, als bis wir einen neuen besorgt hatten. Der Krisenrat war einberufen und Kostas meisterte es wieder einmal so, dass er beschloss, dass ich mit meiner Frau zu einem Möbelgeschäft gehen und dort einen Schrank kaufen sollte und er in der Zwischenzeit gemeinsam mit den Söhnen der Frau Penelopi den alten in seine Einzelteile zerlegt, damit ein Transport ermöglicht werden kann.Meine Frau meinte lediglich, dass sie doch selber zunächst einmal alle Wäsche ausräumen müsste und dass sie dazu eine gute Stunde brauchen würde. Kein Problem, also setzten sich alle erst einmal hin, Kaffee wurde gekocht und Filareti hatte noch einige selbstgebackene Koulouria. Ich gebe es zu, zehn Minuten eingetunkt, wurden diese auch weich. Das Schlafzimmer ähnelte einem Kriegsschauplatz und auf dem Ehebett war bis zur Decke hin Wäsche gestapelt, die im „alten Schrank“ geschlummert hatte. Meine Frau meinte, sortieren tut sie sowieso erst dann, wenn der neue Schrank da wäre.Im Hof waren inzwischen drei weitere Nachbarn angekommen, die helfen wollten und Kostas übernahm die Organisation des Abbaus und des Transport. Meine Frau und ich machten uns auf den Weg Richtung Knossos, da an dieser Straße mehrere große Möbelgeschäfte heimisch waren. Wir betraten das Möbelgeschäft Mitropoulos und schon im Eingangsbereich wussten wir, dass wir hier fündig werden würden. Eine sehr attraktive Mittdreißigerin begrüßte uns auf Englisch um, nachdem wir Kalimera gesagt hatten, auf Griechisch fortzufahren. Wir sagten, dass wir uns lediglich umschauen wollten und sie widmete sich einem jungen Mann der gerade den Laden betrat. Wir hörten wie sie: „Good morning, welcome.” flötete. Der Laden war sehr großzügig angelegt, und große Möbelhäuser in Karlsruhe oder Stuttgart könnten nicht besser ausgestattet sein. Wir erreichten die Schlafzimmer- Abteilung und innerhalb von Sekunden wussten wir, der da vorne, der fünftürige weiße Schrank, wird unser neuer Schrank werden. Auf dem angebrachten Schild stand ein Preis, der durchgestrichen war, und von Hand ein viel günstigerer quer darüber. Im Schrank lag ein Zettel mit einem dritten Preis. Exakt in dem Moment als wir uns unterhielten, welcher Preis jetzt gelten würde, kam ein Mann, Ende Fünfzig, mit der Physiognomie eines Altrockers wie Vassilis Papakostantinou. Wir fragten nach und er grüßte uns höflich. „Elate, kommt mit“, sagte er und führte uns in sein Büro, das mitten im Möbelhaus zwischen zwei Boxspringbetten eingerichtet war. „Na lass uns mal schauen,“ fuhr er fort, und jedes Mal, wenn er im PC etwas gefunden hatte, streckte er die Faust wie ein Tennisspieler und schrie: „YES“. Das geschah so sieben bis acht Mal, bis ich ihm sagte, dass wir lediglich nur einen Schrank benötigen. Er erwiderte, das wäre ein Sondermodell mit vielen Extras und er würde jetzt prüfen, ob der Gesamtpreis inclusive aller dieser Accessoires wäre.Nach dem zehnten „YES“ murmelte er etwas vor sich hin, griff zum Telefonhörer und fragte nach, ob er mit seiner Maus auf das Druckersymbol klicken müsste, um uns das Angebot des Schranks auszudrucken und die Stimme schien ihm beigepflichtet zu haben, so dass er nach einem erneuten “YES“ dieses tat und der Drucker mit der Ausgabe der Blätter begann. Es waren insgesamt vier Blätter, und unser Starverkäufer nahm jedes einzelne heraus, schaute es mit Sorgfalt an, um uns dann, nachdem er seine Altrockerhaare um sich geschüttelt hatte, das Komplettpaket vorzulegen. Er machte uns darauf aufmerksam, dass es sich hier um einen Designerschrank der Firma XY aus dem Schwarzwald handelte und er deshalb im Preis reduziert sei, weil nächste Woche von einer Möbelmesse in Athen ein neues Modell kommen würde. Firma XY aus dem Schwarzwald, maximal 100 Kilometer von unserem Wohnort in Deutschland gelegen, ist bekannt für sehr gute Qualität. Meine Frau wie ich waren sehr angetan, nicht nur die Optik sondern auch der Preis waren so, dass wir nicht lange gefackelt haben und schließlich brauchten wir schnell einen Schrank, weil der „alte“ mit Sicherheit inzwischen bei Frau Penelopi wäre. Bei nochmaliger Durchsicht des schriftlichen Angebots bemerkte ich, wie oben rechts zu lesen war: „Verkäufer Drakopoulakis, Agnostos“.„Sie haben einen schönen Vornamen“, sagte ich zu unserem Verkäufer, „und so selten. Ich kenne sonst niemanden, der Agnostos heisst.“ Er stutzte, schmunzelte dann und erklärte, dass, obwohl er schon über zwanzig Jahre hier arbeitet, der IT-Spezialist seinen Vornamen nicht wusste, als vor wenigen Wochen zum ersten Mal ein EDV-System eingeführt wurde. Deshalb war das entsprechende Feld automatisch mit dem Wort „agnostos“ (unbekannt) befüllt worden.
Wir nahmen uns dann schon die Zeit um zu überlegen, welche Vorteile so ein Vornamen hätte.
Bei der Polizeiwache: „Wer hat Sie überfallen?“ Antwort : Unbekannt
In der Schule: „Wer hat die Wände beschmiert?“ Antwort : Unbekannt
Auf dem Standesamt: „Wer ist der Vater Ihres Kindes?“ Antwort : Unbekannt
Für Statistiker unter uns sei noch erwähnt, dass der Schrank keine vier Stunden später abgebaut und bei uns im Schlafzimmer wieder aufgestellt wurde. Zwei Handwerker aus dem Möbelhaus, Kostas und ich saßen danach im Hof. Meine Frau ließ es sich nicht nehmen, den „neuen Schrank“ einzurichten. Wir tranken kretischen Raki und ließen uns von Quick, unserem „Lieblingsschnellfress“, Gyros, Souvlaki und sonstige Leckereien bringen. Die Monteure waren gerade dabei sich zu verabschieden, als es klingelte und unser neuer Freund Herr Unbekannt vor der Tür stand.Eine neue Flasche Raki wurde geöffnet. Inzwischen hatte meine Frau, ich hab sie so unwahrscheinlich lieb, allein den ganzen Schrank eingeräumt und gesellte sich zu uns. Einige Zeit später, als die Gäste aufstanden, meinte Kostas: „Hey, wir haben tatsächlich drei Flaschen Raki geschafft.“ Die dritte nämlich brachten am späten Abend die Söhne der Frau Penelopi, die sich mit in die Runde setzten. Wer hat wohl das meiste getrunken? Die Monteure und wir riefen fast gleichzeitig: Unbekannt! Kostas brachte alle zur Tür, schaute uns fröhlich an und meinte:“Lieber Gott, wir haben nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf”.
von Niko Papadakis | Feb 10, 2017 | Nikos erzählt
Wir sollten uns davon distanzieren zu glauben, dass in Ländern, denen es momentan finanziell nicht gut geht, auch alles viel schlechter als bei uns ist. Es ist vielleicht anders und trotzdem denke ich, dass Parallelen sich auch hierzulande finden.Das aktuelle Beispiel ist der Tatsache zu verdanken, dass Tante Filareti in Heraklion einen kleinen häuslichen Unfall hatte und ihr Bein geschient werden musste. Sie war somit absolut bewegungsunfähig und das wäre kein so großes Problem gewesen, wenn nicht ausgerechnet jetzt Anna und Katharina, ihre zwei Freundinnen, bei ihren Kindern in Patras beziehungsweise Thessaloniki gewesen wären und Kostas mit Eleni den ersten kleinen viertägigen Urlaub nach zwanzig Jahren angetreten hatten. Filareti musste nun schauen, wie sie die nächsten vier Tage und drei Nächte über die Runden kommt.Was bei uns hier Kurzzeitpflege genannt wird, die in Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder ausreichend ist, ist in Griechenland die Nothilfe und die sieht so aus, dass der- oder diejenige bis zu einem Monat in einem Altersheim untergebracht wird, damit die notwendige Unterstützung geleistet werden kann. Filareti, die ihr ganzes Leben auf sich allein gestellt war und alles gemeistert hatte, nahm diese Sache gelassen entgegen und freute sich, den „Alten“ – sie ist bekanntlich 91 Jahre jung-, zu zeigen, wie rüstig man sein kann. Im Kopf fit wie die neuesten Turnschuhe von Nike oder Adidas, an den Beinen jedoch lahm wie eine müde Schnecke, wurde sie mit einem Krankentransport in ein Altersheim nahe Knossos gebracht. Sie machte sich Mut und sagte sich, dass diese vier Tage mit Sicherheit schnell vergehen werden.Sie kam um 11:30 Uhr im Altersheim von Knossos an und eine nicht unbedingt gut aufgelegte Empfangsdame, die kaum griechisch konnte, sagte zum Fahrer, dass er das nächste Mal, wenn er jemand bringen würde, doch nach 13:00 Uhr kommen sollte, weil jetzt müsste ein weiteres Maul gefüttert werden. Filareti nahm es gelassen hin. Sie wurde kurzerhand mit dem Rollstuhl an einen Tisch in der Cafeteria gefahren und kaum hatte sie sich versehen, fand sich auch ein Lätzchen um ihren Hals. Sie machte der Frau, die so selbstlos und hilfsbereit war, klar, dass sie nichts an Oberkörper oder Händen hätte, sondern ihr Bein wäre still gelegt worden. Die Helferin, die fast genau so wenig griechisch konnte wie die selbst ernannte Empfangsdame murmelte etwas wie: „sitzen, ruhig sitzen.“ Man legte ihr auch Plastikbesteck zur Seite und ermahnte sie, doch noch etwas zu warten. Dieses Warten dauerte fast eine halbe Stunde. In dieser Zeit füllte sich der Raum mit älteren Herrschaften mit den diversesten Charakteren. Der Fünfer-Tisch, an dem Filareti platziert war, war belegt mit Domna, einer sechsundachtzigjährigen blinden Frau, Lula, nicht viel jünger und taub, Katina, weit in den Neunzigern, blind und taub und Melpomeni, die noch sehr jung und rüstig aussah, aber Filareti am unangenehmsten auffiel, weil sie, kaum am Tisch sitzend, den Salzstreuer zu sich nahm und den Inhalt großzügig über den Bauernsalat, der in der Tischmitte stand, streute. Der Salat war ungenießbar, aber Melpomeni zufrieden. Danach war Mittagsruhe angesagt. Filareti sah nun ihr „Hotelzimmer“, wie sie später berichtete, zum ersten Mal. Ihr Badezimmer zuhause war viel größer und geräumiger. „Du müssen jetzt schlafen“, sagte die Betreuerin, die sich jetzt einen weißen Kittel angezogen hatte. Bis vor zehn Minuten war sie noch Empfangsdame. „Aber ich will nicht schlafen“, erwiderte Filareti. „Müssen aber!“ war die Antwort, und kaum hatte sich Filareti versehen, hatte dieses Mannsweib sie ins Bett gepackt und ermahnt: „Ruhig sein, schlafen, alle jetzt schlafen.“ Filareti lag nun da und besann sich, dass sie seit einer guten halben Stunde aufs Klo musste. Zaghaft rief sie „Hallo“, und dann etwas lauter, nichts geschah. Dann sah sie links vom Bett eine Kordel, die sie sofort als Alarmklingel identifizierte. Sie zog daran und tatsächlich öffnete sich einige Minuten später die Tür und die uns inzwischen alte Bekannte, die Olga hieß, erschien. „Du sollen schlafen“, sagte Olga. „Aber nicht ohne vorher auf die Toilette zu gehen,“ meinte Filareti. „Du kannst aber nicht gehen“, sagte Olga. „Darum habe ich ja auch gerufen“, meinte Filareti. Wir kürzen das Weitere ab, letztendlich schnappte sich Olga mit sicherlich hundertmal geübten Bewegungsabläufen Filareti, was mit deren knapp 60 kg kein Problem war, und brachte sie zur Toilette, die sich am Ende des Ganges der Abteilung befand. Gekonnt zog sie ihr Hose und Strümpfe aus und setzte sie auf die Brille. Filareti schlief, wieder in ihrem Bett, tatsächlich ein. Kurz nach siebzehn Uhr wachte sie durch laute Musik auf, die aus dem Nebenzimmer kam. Es war Lula, die sehr taub war und Musik nur durch Vibrationen genießen konnte. So schlimm war der Lärm dann auch nicht, wusste später Filareti zu berichten, es sang doch Mitropanos. Das Abendessen wurde um 19:00 Uhr gereicht. Es gab diverse Vorspeisen auf Basis von Zatziki, was Filaretis Laune spontan hob. Als durch Olga die Teller weggeräumt waren, zog Filareti zwei Satz Karten aus ihrer Kitteltasche und fragte in die Runde, wer noch etwas spielen wollte. Alle bis auf Domna, die nichts sehen konnte, waren dabei. „Das trifft sich gut“, sagte Filareti, „wir können auch nur zu viert spielen“, und verteilte die Karten, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die anderen die Regeln für Pinacle kannten. Da Melpomeni sehr rasch müde wurde und sich nicht konzentrieren konnte, sprang Olga als vierte in der Runde ein, bis Lula weit nach Mitternacht fragte, was es morgen zum Mittagessen geben würde.Um zwei Uhr in der Früh, Filareti hatte bereits weit über die Hälfte der Partien für sich entschieden, beschloss man, eine Pause einzulegen, um am nächsten Tag weiter zu machen. Die nächste Tage vergingen und Filareti wurde zum Star des Altenheims. Am Abend des vierten Tages klingelte es an der Haustür, die um zwanzig Uhr verschlossen wurde. Es waren Eleni und Kosta, die Filareti wieder mitnehmen wollten. „Ich denk ihr seid in Athen“ sagte Filareti. „Wir sind seit einer Stunde wieder zurück“, meinte Eleni. „Heute ist doch schon Dienstag“. Filareti stellte ihnen ihre Kartenspielschwestern vor und nachdem Kostas meinte, jetzt wäre ein kretischer Raki angebracht, stand Olga auf und schwups war sie mit mehreren Gläsern und einer Wasserflasche, die dieses Feuerwasser enthielt, zurück. Kostas blickte in die fröhliche Runde und meinte: „Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben. Danke, dass ich es als Grieche leben darf.“
von Niko Papadakis | Feb 10, 2017 | Nikos erzählt
Tante Filareti lebt und residiert in Heraklion. Sie wohnt gegenüber unserem kleinen Häuschen und ist ein Unikum mit ihren 91 Lenzen.
Filareti, seit vierzig Jahren verwitwet, hat nur noch ihren Sohn Michalis. Ein Tagedieb, jedoch der letzte noch enge Verwandte, von uns Neffen abgesehen. Michalis, der den ganzen Tag den Geschäftsmann spielt, nimmt sich den Sonntag frei, um mit seiner Frau zu dem nahe gelegenen FKK Strand zu fahren und seinen ca. um siebzig Pfund übergewichtigen Körper zu präsentieren. Sonntags nun holt er am frühen Morgen seine Mutter ab, damit sie auf seinen wenige Wochen alten Welpen Gucci aufpasst. Tante Filareti erzählte uns am Folgetag, was sie beim Hundesitting erlebt hatte:
“Na sas po kati, ich habe mittags gekochtes Hähnchenfleisch gegessen, es gab auch Spaghetti, aber die waren mir zu lang. Ich habe also nur Hähnchen gegessen und mir mit einer Serviette den Mund abgewischt. Ich bin ja schließlich eine saubere Frau. Danach wollte ich mich etwas hinlegen und meine Fernsehserie anschauen, ihr wisst doch, diese Anwaltsserie mit der hübschen Anwältin. Ich legte mich auf die Couch, nachdem ich wie immer mein Gebiss herausgenommen und in die Serviette eingewickelt hatte.
Als ich zwei Stunden später aufwachte, wollte ich mir die Zeit etwas mit dem Knabbern von Sonnenblumenkernen vertreiben. Aber was soll ich Euch sagen, mein Gebiss war nicht mehr da. Ich sah, dass überall im Zimmer Papierfetzen waren. Sie führten zu der kleinen Sitzgruppe auf dem Balkon, dort wo Gucci am liebsten liegt. Ich entdeckte ihn dort und auch die Hälfte meines Gebisses. Mir ging ein Licht auf. In der Zeit, in der ich schlief, hat dieser Lump das Papierbündel mit meinem Gebiss genommen und damit gespielt, sicherlich hat er Hähnchen gerochen. Ich suchte die andere Hälfte meiner Zähne und fand diese nicht. Von 14:00 Uhr bis 18:30 Uhr, bis Michalis kam, heulte ich, weil ich in der ganzen Wohnung nicht die obere Hälfte meines Gebiss finden konnte. Wovon sollte ich ein neues kaufen? Als meine Schwiegertochter zurückkam und fragte, warum ich so traurig wäre, erzählte ich die Geschichte. Fast eine weitere Stunde dauerte die Suche, bis Michalis in einer abgelegenen Ecke mein Gebiss fand. Ich beschloss, mein Gebiss zu reinigen, widmete mich dem Rest des Films und erfreute mich an den Sonnenblumenkernen“. Alle amüsierten sich und mein Freund Kostas würde jetzt sagen: „Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.“
von Niko Papadakis | Feb 10, 2017 | Nikos erzählt
Der begnadete niederländische Liedermacher Robert Long hat in den achtziger Jahren ein wunderschönes Lied geschrieben. Lasst mich einige Passagen zitieren:
Sie is ne Frau und sie is ne Frau, die beiden sind ein hübsches Paar.
Die Wangen rot, die Augen blau, sie sind solide nicht kokett,Katholisch,
fleißig und adrett, sie schlafen Nachts im selben Bett
Da treiben sie es lieb und nett
Er is n Mann und er is n Mann, sie teilen eine Wohnung und was man halt sonst noch teilen kann,
sie lieben sich schon jahrelang Sie kümmern sich um ihren Kram Was soll’s, ein Mann liebt einen Mann,
was geht denn das die andern an
Er is ne Frau und sie is n Mann, auch wenn es ungewöhnlich ist
Das soll es geben dann und wann, Sie leben als ein Ehepaar Sie sagen zu einander „ja“ Ist so etwas nicht wunderbar.
Die gleichgeschlechtliche Liebe im antiken Griechenland ist im Allgemeinen bekannt. In der heutigen Zeit hat sich die Toleranzgrenze nach oben verschoben, in vielen Teilen Kretas jedoch werden Homosexuelle immer noch belächelt, da sich so manch einer durch ein tuntenhaftes Verhalten selber ins Abseits versetzt. Uns, die wir im Herzen Europas leben, ist es schnurzpiepegal, ob er mit ihm oder sie mit ihr. Trotzdem erinnern wir uns lebhaft an den Julitag vor zwei Jahren in Heraklion, in der Odos Trifitsou gegen 15:00 Uhr, als ein für diese Uhrzeit ungewöhnlich hoher Lärmpegel in der Gasse zu hören war. Man sah ältere Frauen im Nachthemd, Kinder nur in Unterhosen, Männer mit blankem Oberkörper, die aus den Fenstern schauten oder auf die Straße rannten um zu sehen, was überhaupt los sei. Ich war natürlich auch dabei. Jemand schrie nach der Polizei, ein anderer schimpfte, man solle doch ruhig sein, ein dritter fluchte lauthals. Am Ende der Trifitsou, dort wo die Straße Pediados anfängt, befand sich ein größerer Pulk von Menschen, mittendrin ein junger Mann namens Manolis, Mitte zwanzig, der auf ein Auto einschlug. Ok, er schlug nicht, sondern tätschelte die Motorhaube: „Ich schlage dich, ich schlage dich“, waren seine Worte und er „drosch“ weiterhin so auf die Motorhaube ein, dass noch nicht einmal ein Wattebausch etwas gespürt hätte. Der Grund seiner Aufregung war, dass jemand sein Auto so nah an der Eingangstür unseres Freundes geparkt hatte, dass dieser nicht in die Wohnung hineingehen konnte. „Ich schlage dich, ich schlage dich, auch wenn Du so eine schöne Farbe hast“, hörte man den Mann mit schriller Stimme schreien. Inzwischen hörte ich, wie Nachbarn, die heraus gekommen waren, sich darüber unterhielten, dass das besagte rote Auto dem Exfreund unseres Hauptdarstellers gehörte, der ihm einen Streich spielen wollte und sein Auto so geparkt hatte, dass dieser Schwierigkeiten hatte, in die Wohnung zu gelangen. „Ich schlage dich, ich schlage dich“, war erneut zu hören, bis eine sehr männliche Stimme Einhalt gebot. Ein Polizist auf einem Motorrad war vor Ort, erfasste das Geschehene, setzte sofort seinen Helm wieder auf und schloss das Visier, damit man nicht sehen konnte, wie er ebenfalls den erbosten Geschädigten auslachte. Als der Polizist sich wieder gefasst hatte, gebot er der Menge – inzwischen waren weit über zwanzig Menschen vor Ort-, wieder in ihre Häuser zu gehen. Unser Freund ließ sich nach einigen Worten des Polizisten beruhigen, und nachdem man das rote Vehikel, dass ohne Handbremse geparkt hatte, mit vereinten Kräften einige Meter weiter geschoben hatte, konnte unser Freund die Wohnung betreten, nicht ohne einen bösen Blick dem Auto zugeworfen zu haben. Als wir im Jahr darauf wieder in Heraklion waren und nach dem brutalen Autoschläger fragten, sagte uns Kostas, dass er umgezogen sei. Er hätte sich mit seinem Exfreund wieder vertragen und sie haben sich gemeinsam in der Nähe des Hafens eine kleine Wohnung gekauft. Wahre Liebe ist doch dauerhaft. Kostas und ich trinken jedes Jahr ein Glas Raki auf das Wohl von Manolis und stoßen mit dem Trinkspruch von Kosta an: Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.
von Niko Papadakis | Feb 10, 2017 | Nikos erzählt
Mediziner warnen, Wissenschaftler zerbrechen sich den Kopf, Tatsache ist jedoch, dass über acht Millionen Diabetiker in Deutschland zu finden sind. Experten gehen sogar davon aus dass…. lasst mich jedoch nicht wissenschaftlich werden sondern das wiederholen, was mein Hausarzt vor nicht allzu langer Zeit sagte. Jeder bekommt Altersdiabetes, es kommt jedoch auf jeden selbst an, ob dieses früher oder später geschieht. Fakt ist, dass ich auf meinen Arzt höre und ich sehr vorsichtig damit verfahren würde, wenn es nicht das Baklava gäbe. Seine Herkunft ist unter Süßspeisenhistorikern umstritten, aber was mich anbelangt ist klar, dass Baklava zum ersten Mal in Griechenland entstand. Da ich nun Baklava sehr sparsam genieße, war ich überglücklich, als wir beschlossen, Tante Anna in Potamies zu besuchen. Durch den Bau eines Staudamms und durch diverse Umleitungen, erreichten wir das Dorf nach einer dreiviertel Stunde Fahrt von Heraklion aus. Als Mitbringsel hatten wir von der Konditorei Savoidakis (Schleichwerbung) einen Süßigkeitenkarton zusammengestellt. Baklava gehörte natürlich dazu. Wir wollten die Gelegenheit nutzen, auch das Grab von Onkel Stathis zu besuchen, der vor zwei Jahren verstarb.Drei Jahre zuvor waren wir schon mal im Dorf und so konnte sich meine Frau an Einzelheiten erinnern, bis wir zur Dorfmitte kamen und nicht weiter wussten. Vor einem Kafenion saßen einige alte Männer, jeder benötigte drei Stühle. Ich fragte nach Anna M. und einer schaute mich fragend an, der zweite meinte, das sei doch die Anna von Stathis, und alle nickten. Sie zeigten uns den Weg und wir erkannten, nachdem wir in der richtigen Straße waren, das alte Häuschen sofort wieder. Den Karton mit Baklava auf dem Rücksitz und die Freude, Tanta Anna zu sehen und ein Stück Leckeres zu essen, parkte ich vor einem Nachbarshaus, aus dessen Fenster eine alte Frau schaute. „Wo wollt ihr hin?“ fragte sie und wir sagten: zu Anna M. und ob wir hier parken dürften. „Klar“ antwortete sie, mein Sohn kommt erst am Freitag wieder, heute ist ja Montag. Sie machte uns noch darauf aufmerksam, dass wir kräftig an die Tür klopfen sollten, Anna sei etwas taub. Wir klopften an die Tür, zunächst etwas zaghaft, dann schon so laut, dass eine (etwas Taube) dieses hören könnte. Nichts! Zurück zum Auto fragte ich die Frau, inzwischen waren zwei weitere dazu gekommen, ob sie wüsste, wo Anna wäre. „Wer bist Du?“ fragte sie. Ich erklärte, ich wäre ein Neffe, der in Deutschland lebt und der mit seiner Frau sowohl Tante Anna als auch das Grab des Onkels besuchen wollte. Die Frau sagte, dass Anna jeden Tag dreiviertel Stunden zu Fuß zum Friedhof geht und natürlich auch dreiviertel Stunden zurück, und dass sie, wenn sie nicht zuhause oder beim Friedhof sei, alle zwei, drei Wochen ihre Schwester besuchen würde, die am Ende des Dorfes im letzten Haus auf der linken Seite wohnte.Man zeigte uns den Weg zum Friedhof und dort angelangt sahen wir lediglich eine Frau, die einen Marmorstein polierte, sichtlich nicht Tante Anna. Als wir fragten, ob sie wüsste, wo das Grab von Stathis wäre, zeigte sie uns den Weg und so konnten wir meinem Onkel Stathis, dem alten Korea- Veteranen, noch einmal die Ehre erweisen. Zurück zum Haus war Anna immer noch nicht zurück, und so hängten wir die Tüte mit dem Karton mit Baklava und sonstigem an die Türklinke und sagten der Nachbarin, die immer noch am Fenster zu sehen war, sie solle doch bitte Tanta Anna sagen, dass wir da waren. Niko aus Deutschland, wiederholte ich. „Aber geht doch zu Maria, Anna kann nur dort sein, sie ist bestimmt traurig wenn ihr geht ohne sie zu sehen.“ Die Gelüste nach einer Portion Baklava waren groß, aber bei ganz fremden Leuten an die Tür klopfen…. meine mir innewohnende mittel-europäische Zurückhaltung verbot es mir. Wir fuhren zurück mit der Erkenntnis, dass hier in diesem Fünfhundert- Seelen- Dorf jeder für den Anderen da ist und dass jeder über den Anderen alles weiß. Einerseits nachdenklich, andererseits froh, dass Tante Anna, die allein im Häuschen lebt, durch die Dorfgemeinschaft nicht einsam ist. So verschmerzte ich das nicht verspeiste Baklava.
Wie sagt doch Kosta: Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.